Paul Verhage. Psychotherapie, Psychoanalyse Und Hysterie

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Video: Paul Verhaeghe - Het einde van de psychotherapie 2024, April
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Anonim

Originaltext in Englisch

Übersetzung: Oksana Obodinskaya

Freud hat immer von seinen hysterischen Patienten gelernt. Er wollte es wissen und hörte ihnen deshalb aufmerksam zu. Wie Sie wissen, hat Freud die Idee der Psychotherapie geschärft, die sich Ende des 19. Jahrhunderts durch ihre bedeutende Neuheit auszeichnete. Psychotherapie ist heute eine sehr gängige Praxis geworden; so beliebt, dass niemand genau weiß, was es ist. Andererseits ist die Hysterie als solche fast vollständig verschwunden, selbst in den neuesten Ausgaben des DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) ist davon keine Rede.

In diesem Artikel geht es also einerseits um das, was einerseits nicht mehr existiert und andererseits um das, was zu viel ist … Es gilt also zu definieren, was wir aus psychoanalytischer Sicht darunter verstehen das Wort "Psychotherapie" und wie wir über Hysterie denken.

Beginnen wir mit einer bekannten klinischen Situation. Ein Kunde kommt zu einem Termin mit uns, weil er ein Symptom hat, das unerträglich geworden ist. Im Kontext der Hysterie kann dieses Symptom alles von klassischer Konversion, phobischen Bestandteilen, sexuellen und / oder zwischenmenschlichen Problemen bis hin zu eher vagen Beschwerden über Depression oder Unzufriedenheit sein. Der Patient stellt dem Psychotherapeuten sein Problem vor, und es ist normal zu erwarten, dass der therapeutische Effekt zum Verschwinden der Symptome und zur Rückkehr zum Status quo ante, zum vorherigen Gesundheitszustand, führt.

Das ist natürlich eine sehr naive Sichtweise. Sie ist sehr naiv, weil sie eine wunderbare kleine Tatsache nicht berücksichtigt, nämlich: In den meisten Fällen ist ein Symptom nichts Akutes, keine Exazerbation, im Gegenteil - es hat sich vor Monaten oder sogar Jahren gebildet. Die Frage, die in diesem Moment auftaucht, klingt natürlich so: Warum ist der Patient jetzt gekommen, warum ist er nicht früher gekommen? Wie es sowohl auf den ersten als auch auf den zweiten scheint, hat sich für das Subjekt etwas geändert, und als Folge davon hat das Symptom seine eigentliche Funktion nicht mehr erfüllt. Egal wie schmerzhaft oder inkonsistent das Symptom sein mag, es wird klar, dass das Symptom dem Subjekt zuvor eine gewisse Stabilität verlieh. Erst wenn diese stabilisierende Funktion geschwächt ist, bittet der Proband um Hilfe. Daher merkt Lacan an, dass der Therapeut nicht versuchen sollte, den Patienten an seine Realität anzupassen. Im Gegenteil, er ist zu gut angepasst, weil er sehr effektiv an der Entstehung des Symptoms beteiligt war. eins

An dieser Stelle treffen wir auf eine der wichtigsten Freudschen Entdeckungen, nämlich dass jedes Symptom in erster Linie ein Versuch der Heilung ist, ein Versuch, die Stabilität einer gegebenen psychischen Struktur sicherzustellen. Das bedeutet, dass wir die Erwartungen des Kunden neu formulieren müssen. Er bittet nicht um Linderung des Symptoms, nein, er will nur seine ursprüngliche stabilisierende Funktion wiedererlangen, die durch die veränderte Situation geschwächt wurde. Daher kommt Freud auf eine sehr seltsame Idee, seltsam im Lichte der oben erwähnten naiven Sichtweise, nämlich die Idee der "Flucht in die Gesundheit". Sie finden diesen Ausdruck in seiner Arbeit über den Rattenmann. Die Therapie hat gerade erst begonnen, etwas ist erreicht und der Patient beschließt aufzuhören, sein Gesundheitszustand hat sich deutlich verbessert. Das Symptom war im Wesentlichen kaum verändert, aber anscheinend störte es den Patienten nicht, es störte den überraschten Therapeuten.

Angesichts dieser einfachen Erfahrung ist es notwendig, die Idee der Psychotherapie sowie das Symptom neu zu definieren. Beginnen wir mit der Psychotherapie: Es gibt viele Therapieformen, aber wir können sie grob in zwei gegensätzliche Gruppen einteilen. Eines wird ein Wiederentdecken von Therapien sein und das andere wird entdecken. Re-cover bedeutet nicht nur Genesung, Verbesserung des Wohlbefindens, sondern auch etwas zum Abdecken, Abdecken, Verstecken, dh ein fast automatischer Reflex des Patienten ist nach einem so genannten traumatischen Ereignis vorhanden. In den meisten Fällen ist dies auch ein therapeutischer Reflex. Patient und Therapeut schließen eine Koalition, um so schnell wie möglich zu vergessen, was psychisch störend war. Einen ähnlichen miniaturisierten Vorgang findet man bei der Reaktion auf Fehlleistung (Reservierungen), zum Beispiel Slip Slip: "Das hat gar nichts zu bedeuten, weil ich müde bin usw." Der Mensch möchte nicht mit Wahrheitselementen konfrontiert werden, die einem Symptom entnommen werden können, im Gegenteil, er möchte es vermeiden. Daher sollte es uns nicht überraschen, dass die Verwendung von Beruhigungsmitteln so weit verbreitet ist.

Wenn wir diese Art der Psychotherapie bei einem hysterischen Patienten anwenden, können wir kurzfristig einen gewissen Erfolg erzielen, aber auf lange Sicht führt sie unweigerlich zum Scheitern. Die wichtigste hysterische Frage ist, dass sie nicht abgedeckt werden kann. Wir werden später sehen, dass die zentrale hysterische Frage für die Suche nach der menschlichen Identität grundlegend wird. Während es bei der psychotischen Frage um das Dasein geht – „Sein oder Nichtsein, das ist die Frage“, lautet die neurotische Frage: „Wie existiere ich, was bin ich als Mensch, als Frau, was ist mein Platz unter den Generationen als“? ein Sohn oder ein Vater wie eine Tochter oder eine Mutter?" Darüber hinaus wird das hysterische Subjekt die wichtigsten kulturellen Antworten auf diese Fragen von den "allgemein akzeptierten" Antworten ablehnen (daher ist die Pubertät eine normale hysterische Phase im Leben einer Person, in der sie die üblichen Antworten auf solche Fragen ablehnt). Es ist jetzt leicht zu verstehen, warum unterstützende „Heilungstherapien“versagen: Diese Arten von Psychotherapien werden Antworten des gesunden Menschenverstands verwenden, dh Antworten, die das hysterische Subjekt kategorisch ablehnt …

Wenn Sie ein typisches Beispiel für eine solche Situation suchen, müssen Sie nur Doras Fall lesen. Durch ihre Symptome und Träume hört Dora nie auf zu fragen, was es bedeutet, eine Frau und eine Tochter in Bezug auf das Verlangen eines Mannes zu sein. Im zweiten Traum lesen wir „Sie fragt wohl hundert mal“, „sie fragt fast hundert Mal“. 2 Anstatt dieser Selbstbefragung Aufmerksamkeit zu schenken, gibt Freud ihr die Antwort, die allgemein akzeptierte Antwort: Ein normales Mädchen will, braucht einen normalen Kerl, das ist alles. Als junge hysterische Frau konnte Dora solche Antworten nur fallen lassen und ihre Suche fortsetzen.

Das bedeutet, dass wir schon jetzt mit der Verwechslung von Psychotherapie und Ethik konfrontiert sind. In den Werken von Lacan finden sich dazu schöne Worte: "Je veux le bien des autres", ich - das sind die Worte des Therapeuten, - "Ich will nur das Beste für andere." Soweit so gut, das ist ein fürsorglicher Therapeut. Aber Lacan fährt fort: "Je veux le bien des autres a l`image du mien" - "Ich wünsche anderen nur das Allerbeste und das entspricht meinen Vorstellungen." Der nächste Teil zeigt uns eine Weiterentwicklung, in der die Dimension der Ethik immer deutlicher wird: „Je veux le bien des autres al`image du mien, pourvu qu`il reste al`image du mien et pourvu qu`il abhängige de mon Anstrengung". 3 "Ich wünsche anderen alles Gute und es entspricht meinen Vorstellungen, aber unter der Bedingung, dass es erstens nicht von meinen Vorstellungen abweicht und zweitens rein von meinem Anliegen abhängt."

Die große Gefahr des fürsorglichen Therapeuten besteht also darin, dass er sein eigenes Bild im Patienten aufrechterhält und fördert, was unweigerlich zum Diskurs des Meisters führt, an den sich der hysterische Diskurs streng orientiert und somit das Ergebnis vorhersehbar ist.

Inzwischen wird deutlich, dass wir ohne eine Definition von Hysterie keine Definition von Psychotherapie geben können. Wie gesagt, Hysterie konzentriert sich auf das Thema Identität und zwischenmenschliche Beziehungen, hauptsächlich Gender und Generationen. Nun ist es absolut klar, dass diese Fragen allgemeinster Natur sind - jeder muss Antworten auf diese Fragen finden, weshalb Hysterie in der lacanischen Terminologie eine Definition von Normalität ist. Wenn wir Hysterie als Pathologie definieren wollen, müssen wir nach einem Symptom suchen, das uns zu einem neuen und wichtigen Gedanken führt.

Seltsamerweise ist eine der ersten Aufgaben, die der Therapeut während der ersten Konsultation angehen sollte, das Finden eines Symptoms. Warum ist das so? Es ist offensichtlich, dass der Patient seine Symptome zeigt, dies ist in erster Linie der Grund, warum er zu uns kommt. Der Analytiker muss jedoch nach einem Symptom suchen, oder besser gesagt, er muss nach einem Symptom suchen, das analysiert werden kann. Daher verwenden wir nicht die Idee von "Trick" oder ähnlichem. Insofern bietet Freud mit dem Konzept der Prüfungsanalyse, im wörtlichen Sinne, keinen "Test" (Testfall), sondern einen Test (Geschmacksfall), die Möglichkeit auszuprobieren, wie es Ihnen passt. Dies wird umso notwendiger, als gegenwärtig durch die Vulgarisierung der Psychoanalyse alles als Symptom erscheinen kann. Die Farbe des Autos, das Sie kaufen, ist symptomatisch, die Länge der Haare, die Kleidung, die Sie tragen oder nicht tragen usw. Dies ist natürlich nicht ganz zutreffend, daher müssen wir auf die ursprüngliche Bedeutung zurückkommen, die psychoanalytisch und sehr spezifisch ist. Das sieht man schon in Freuds frühen Schriften, in Die Traumdeutung, Zur Psychopatologie des Alltagslebens und Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Hier finden wir die Idee, dass aus psychoanalytischer Sicht ein Symptom ein Produkt des Unbewussten ist, in dem zwei verschiedene Triebe einen Kompromiss finden, so dass die Zensur getäuscht werden kann. Dieses Produkt ist nicht zufällig, nicht willkürlich, sondern unterliegt bestimmten Gesetzmäßigkeiten, weshalb es analysiert werden kann. Lacan beendete diese Definition. In seiner Rückkehr zu Freud ist das Symptom natürlich ein Produkt des Unbewussten, aber Lacan stellt klar, dass jedes Symptom wie eine Sprache strukturiert ist, in dem Sinne, dass Metonymie und Metapher die Hauptmechanismen sind. Sicherlich ist die verbale Struktur so gestaltet, dass sie die Möglichkeit der Analyse durch freie Assoziation eröffnet.

Dies ist also unsere Arbeitsdefinition eines Symptoms: Wir müssen ein zu analysierendes Symptom finden, wenn wir mit der Analyse beginnen wollen. Dies ist, was Jacques-Alain Miller „la Niederschlag du symptôme“nannte, den Umsturz oder Niederschlag des Symptoms: die Tatsache, dass das Symptom wie das Sediment einer Kette von Signifikanten sichtbar, fühlbar werden muss, damit es analysiert werden kann. 4 Das bedeutet zum Beispiel, dass nur depressive Beschwerden oder Eheprobleme kein Symptom als solches sind. Außerdem müssen die Umstände so sein, dass das Symptom unbefriedigend wird, weil das Symptom vollkommen befriedigend sein kann. Freud verwendet in dieser Hinsicht die Metapher des Gleichgewichts: Ein Symptom ist als Kompromiss normalerweise ein perfektes Gleichgewicht zwischen Verlust und Gewinn, das dem Patienten eine gewisse Stabilität verleiht. Erst wenn die Bilanz negativ wird, ist der Patient bereit, in die Therapie zu investieren. Umgekehrt, wenn das Gleichgewicht wiederhergestellt ist, ist der Weggang des Patienten und seine „Flucht in die Gesundheit“nichts Überraschendes.

Mit dieser Arbeitsdefinition können wir mit der Untersuchung des Symptoms als Ziel unserer klinischen Praxis beginnen. Diese Praxis ist im Wesentlichen eine Dekonstruktion des Symptoms, die es uns ermöglicht, zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Das berühmteste Beispiel ist vielleicht Signorellis Analyse von Freuds Psychopathologie des Alltagslebens - eine perfekte Illustration von Lacans Idee, dass das Unbewusste wie eine Sprache strukturiert ist. Ein wichtiges Detail finden wir hier jedoch. Jede noch so gründliche Analyse eines Symptoms endet mit einem Fragezeichen. Mehr noch - die Analyse endet mit etwas, das fehlt. Wenn wir Signorellis Analyse lesen, finden wir an der Basis von Freuds Schema den eingeklammerten Ausdruck „(verdrängte Gedanken)“, der nur eine andere Formulierung des Fragezeichens ist. 5 Jedes Mal – jede einzelne Analyse durchläuft das – werden wir auf so etwas stoßen. Wenn der Analytiker darüber hinaus hartnäckig ist, wird die Reaktion des Patienten Angst sein, was etwas Neues ist, etwas, das nicht in unser Verständnis des Symptoms passt.

Daraus folgt, dass wir zwischen zwei verschiedenen Arten von Symptomen unterscheiden müssen. Dies ist zunächst eine klassische Liste: Konversionssymptome, Phobien, Zwangsphänomene, Fehlhandlungen, Träume usw. Die zweite Liste enthält dagegen nur ein Phänomen: Angst, genauer gesagt, rohe, unverarbeitete, nicht vermittelte Angst. Infolgedessen erstreckt sich das Phänomen der Angst auf das, was Freud die somatischen Äquivalente der Angst nannte, zum Beispiel Herz- oder Atemstörungen, Schwitzen, Zittern oder Zittern usw. 6

Es ist ganz offensichtlich, dass diese beiden Arten von Symptomen unterschiedlich sind. Die erste ist vielfältig, hat aber zwei wichtige Eigenschaften: 1) bezieht sich immer auf ein Konstrukt mit einem Signifikanten und 2) das Subjekt ist der Nutznießer, d.h. Begünstigter - jemand, der das Symptom aktiv nutzt. Das zweite hingegen ist strikt außerhalb der Sphäre des Signifikanten angesiedelt, außerdem ist es nicht etwas, das vom Subjekt geschaffen wurde; das Subjekt ist eher eine passive, empfangende Partei.

Dieser radikale Unterschied bedeutet nicht, dass es keinen Zusammenhang zwischen den beiden Arten von Symptomen gibt. Im Gegenteil, sie können als fast genetische Linien interpretiert werden. Wir begannen mit einem Fragezeichen, mit dem, was Freud "verdrängte Gedanken" nannte. In dieser Fragestellung wird das Subjekt von Angst erfasst, genauer gesagt von dem, was Freud "unbewusste Angst" oder sogar "traumatische Angst" nennt:

? → unbewusste / traumatische Angst

Ferner wird das Subjekt versuchen, diese "rohe" Angst durch ihre Bedeutung zu neutralisieren, damit diese Angst im Bereich des Psychischen umgewandelt werden kann. Es ist wichtig zu beachten, dass dieser Signifikant sekundär ist, abgeleitet vom ursprünglichen Signifikanten, der nie da war. Freud nennt dies eine „falsche Verknüpfung“, „eine falsche Verknüpfung“. 7 Dieser Signifikant ist auch das Hauptsymptom, das typischste Beispiel ist natürlich der phobische Signifikant. Wir müssen also abgrenzen, eine Linie ziehen - das hat Freud den primären Abwehrprozess genannt, und was er später die primäre Verdrängung nennen wird, bei der der Grenzsignifikant als Abwehrverbot im Gegensatz zu ungeschwächter Angst dienen soll.

Dieses Merkmal des Signifikanten, das das erste Symptom ist, ist nur die Grundursache für die ankommende (nachfolgende) Reihe. Entwicklung kann alles Mögliche annehmen, solange sie in der Sphäre des Signifikanten bleibt; was wir Symptome nennen, sind ausschließlich Knoten im größeren verbalen Gewebe, während das Gewebe selbst nichts anderes als eine Kette von Signifikanten ist, die die Identität des Subjekts ausmachen. Sie kennen Lacans Definition des Subjekts: "Le signifiant c'est ce qui représente le sujet auprès d'un autre signifiant", dh "Ein Signifikant ist das, was das Subjekt einem anderen Signifikanten repräsentiert." Innerhalb dieser Kette von Signifikanten können sekundäre Abwehrmechanismen ins Spiel kommen, insbesondere die Verdrängung selbst. Der Grund für diese Abwehr ist wiederum Angst, aber Angst ganz anderer Art. In der Freudschen Terminologie ist dies ein signalisierender Alarm, der signalisiert, dass die Kette der Signifikanten dem Kern zu nahe gekommen ist, was zu ungeschwächter Angst führen wird. Der Unterschied zwischen diesen beiden Ängsten ist in der Klinik leicht zu erkennen: Patienten erzählen uns, dass sie Angst vor ihrer Angst haben – hier liegt ihr deutlicher Unterschied. So können wir unsere Zeichnung erweitern:

Gleichzeitig haben wir nicht nur zwei Arten von Symptomen und zwei Arten von Abwehrmechanismen unterschieden, sondern kommen auch zu einer wesentlichen Freudschen Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Neurosen. Einerseits gibt es echte Neurosen, andererseits Psychoneurosen.

Dies ist Freuds erste Nosologie. Er hat es nie aufgegeben, nur verbessert, vor allem mit Hilfe des Konzepts der narzisstischen Neurosen. Wir gehen hier nicht darauf ein. Der Gegensatz zwischen wirklichen Neurosen und Psychoneurosen wird für unsere Zwecke genügen. Die sogenannten tatsächlichen Neurosen sind nicht so „eigentlich“, im Gegenteil, ihr Verständnis ist fast verschwunden. Ihre spezifische Ätiologie, wie sie von Freud beschrieben wurde, ist so veraltet, dass niemand sie weiter untersucht. Wer wagt heute zu behaupten, dass Masturbation zu Neurasthenie führt oder dass Coitus interraptus die Ursache von Angstneurosen ist? Diese Aussagen haben einen starken viktorianischen Stempel, also vergessen wir sie besser ganz. Unterdessen vergessen wir nach diesen viktorianischen Hinweisen auf Coitus Interruptus und Masturbation die Hauptidee, nämlich dass nach Freuds Theorie die tatsächliche Neurose eine Krankheit ist, bei der der somatische Sexualtrieb niemals eine geistige Entwicklung erhält, sondern ausschließlich in somatischen Ausfluss findet, mit Angst als einem der wichtigsten Merkmale und zusammen mit einem Mangel an Symbolisierung. Aus meiner Sicht bleibt diese Idee eine sehr nützliche klinische Kategorie oder kann sich beispielsweise auf das Studium psychosomatischer Phänomene beziehen, die die gleichen Merkmale des Mangels an Symbolisierung aufweisen, und vielleicht auch auf das Studium der Sucht. Außerdem können tatsächliche Neurosen später wieder hochgradig „relevant“werden oder zumindest eine Form der Neurose. Tatsächlich sind die jüngsten sogenannten "neuen" klinischen Kategorien, mit Ausnahme der Persönlichkeitsstörungen, natürlich nichts anderes als Panikstörungen. Ich werde Sie nicht mit den neuesten Details und Beschreibungen langweilen. Ich kann Ihnen nur versichern, dass sie im Vergleich zu Freuds Veröffentlichungen über Angstneurosen aus dem vorigen Jahrhundert nichts Neues bringen; außerdem verfehlen sie völlig den Punkt in ihren Versuchen, eine nicht-essentielle biochemische Basis zu finden, die Panik auslöst. Sie verfehlen den Punkt völlig, weil sie nicht verstanden haben, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Fehlen von Worten, der Verbalisierung - und dem Wachstum bestimmter Formen von Angst gibt. Interessanterweise wollen wir hier nicht tiefer einsteigen. Lassen Sie uns nur einen wichtigen Punkt hervorheben: Die tatsächliche Neurose kann nicht im wörtlichen Sinne analysiert werden. Wenn Sie sich die schematische Darstellung ansehen, werden Sie verstehen, warum: Hier gibt es kein Analysematerial, kein Symptom im psychoanalytischen Sinne des Wortes. Vielleicht hat Freud ihm deshalb nach 1900 nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt.

Dies führt uns zur Verwirklichung des spezifischen Gegenstands der Psychoanalyse, der Psychoneurosen, deren berühmtestes Beispiel die Hysterie ist. Der Unterschied zu eigentlichen Neurosen liegt auf der Hand: Psychoneurose ist nichts anderes als eine entwickelte Schutzkette mit einem Signifikanten gegen dieses primitive, angsteinflößende Objekt. Die Psychoneurose hat dort Erfolg, wo die eigentliche Neurose gescheitert ist, weshalb jeder Psychoneurose eine anfängliche aktuelle Neurose zugrunde liegt. Psychoneurose existiert nicht in Reinform, sie ist immer eine Kombination einer älteren, aktuellen Neurose, zumindest sagt uns das Freud in den Untersuchungen der Hysterie. 8 In diesem Stadium können wir die Idee fast anschaulich veranschaulichen, dass jedes Symptom ein Versuch der Wiederherstellung ist, was bedeutet, dass jedes Symptom ein Versuch ist, etwas zu bedeuten, das ursprünglich nicht bezeichnet wurde. In diesem Sinne ist jedes Symptom und sogar jeder Signifikant ein Versuch, die anfänglich alarmierende Situation zu meistern. Diese Kette von Signifikanten ist endlos, weil es keinen solchen Versuch gibt, der zu einer endgültigen Lösung führen würde. Deshalb wird Lacan sagen: "Ce qui ne cesse pas de ne pas s'écrite", "Das, was ständig gesagt wird, aber nie gesagt wird" - das Subjekt redet und schreibt weiter, kommt aber beim Verschreiben nie zum Ziel oder einen bestimmten Signifikanten aussprechen. Symptome im analytischen Sinne des Wortes sind die Bindeglieder in diesem immer kleiner werdenden Wortgefüge. Diese Idee wurde lange Zeit von Freud entwickelt und fand in Lacan ihre endgültige Entwicklung. Freud entdeckte zunächst das, was er „erzwungene Assoziation“, „Die Zwang zur Assoziation“und „falsche Verknüpfung“nannte, eine „falsche Verknüpfung“, 9 die zeigt, dass der Patient das Bedürfnis verspürte, die Signifikanten mit dem, was er sah, zu assoziieren als traumatischer Kern, aber dieser Zusammenhang ist falsch, daher die "falsche Verknüpfung". Diese Annahmen sind übrigens nichts anderes als Grundprinzipien der Verhaltenstherapie; das gesamte Konzept von Reiz-Reaktion, konditionierter Reaktion usw. ist in einer Fußnote in Freuds Untersuchungen der Hysterie enthalten. Diese Idee der erzwungenen Assoziation hat bei Post-Freudianern nicht genug Aufmerksamkeit gefunden. Dennoch klärt sie unserer Meinung nach weiterhin einige wichtige Punkte in Freuds Theorie. Zum Beispiel brachte uns die Weiterentwicklung Freuds die Idee der "Übertragungen", Pluralsilben, was bedeutet, dass das Signifikat von einem Signifikanten zum anderen, sogar von einer Person zur anderen, verschoben werden kann. Später finden wir die Idee der Sekundärentwicklung und der komplexen Funktion des Ichs, die dasselbe sagt, nur in größerem Maßstab. Und schließlich, aber nicht zuletzt, finden wir die Idee des Eros, Antriebe, die in ihrer Entwicklung nach mehr Harmonie streben.

Psychoneurose ist eine nie endende Kette von Signifikanten, die von der ursprünglichen, angstauslösenden Situation ausgeht und sich gegen sie richtet. Vor uns stellt sich natürlich die Frage: Was ist diese Situation und ist es wirklich eine Situation? Sie wissen wahrscheinlich, dass Freud es für traumatisch hielt, besonders sexy. Im Falle einer tatsächlichen Neurose findet die sexuelle körperliche Anziehung keinen adäquaten Ausgang in den mentalen Bereich, so dass sie in Angst oder Neurasthenie umschlägt. Psychoneurose hingegen ist nichts anderes als die Entwicklung dieses angstauslösenden Kerns.

Aber was ist dieser Kern? Anfänglich ist es in der Freudschen Theorie nicht nur eine traumatische Szene – sie ist so traumatisch, dass der Patient sich an nichts daran erinnern kann oder will – es fehlen die Worte. Bei seinen Recherchen im Stil von Sherlock Holmes wird Freud jedoch mehrere Merkmale finden. Dieser Kern ist sexy und hat mit Verführung zu tun; der Vater scheint ein Bösewicht zu sein, was die traumatische Natur dieses Kerns erklärt; es befasst sich mit der Frage der sexuellen Identität und sexuellen Beziehungen, aber auf seltsame Weise mit einem Schwerpunkt auf Prägenitalität; und schließlich ist es alt, sehr alt. Es scheint, dass Sexualität vor dem Beginn der Sexualität steht, daher wird Freud von "präsexueller sexueller Angst" sprechen. Wenig später wird er natürlich der infantilen Sexualität und kindlichen Begierden Tribut zollen. Neben all diesen Features gab es noch zwei weitere, die nicht ins Bild passten. Erstens war Freud nicht der einzige, der es wissen wollte, seine Patienten wollten es noch mehr als er. Schauen Sie sich Dora an: Sie sucht ständig nach Wissen über das Sexuelle, sie berät sich mit Madame K., sie schluckt Mantegazzas Liebesbücher (das sind damals Masters und Johnson), sie konsultiert heimlich eine medizinische Enzyklopädie. Wer heute noch einen wissenschaftlichen Bestseller schreiben will, muss etwas in diesem Bereich schreiben, und der Erfolg ist garantiert. Zweitens produziert jedes hysterische Subjekt Fantasien, die eine seltsame Kombination aus heimlich erworbenem Wissen und einer angeblich traumatischen Szene sind.

Jetzt müssen wir in ein möglicherweise ganz anderes Thema abschweifen – die Frage der infantilen Sexualität. Das herausragendste Merkmal der infantilen Sexualität betrifft nicht so sehr das Problem der infantil-sexuellen Spiele, sondern das wichtigste - es ist der (infantile) Wissensdurst. Genau wie der hysterische Patient möchte das Kind die Antwort auf drei verwandte Fragen wissen. Die erste Frage betrifft den Unterschied zwischen Jungen und Mädchen: Was macht Jungen zu Jungen und Mädchen zu Mädchen? Die zweite Frage betrifft das Thema des Aussehens von Kindern: Woher kam mein jüngerer Bruder oder meine jüngere Schwester, wie kam ich? Eine letzte Frage zu Vater und Mutter: Wie ist die Beziehung zwischen den beiden, warum haben sie sich füreinander entschieden und vor allem was machen sie zusammen im Schlafzimmer? Dies sind die drei Themen der sexuellen Erforschung der Kindheit, wie Freud sie in seinen Drei Essays über die Theorie der Sexualität beschrieben hat. 10 Das Kind verhält sich wie ein Wissenschaftler und erfindet echte Erklärungstheorien, weshalb Freud sie "infantile Sexualexploration" und "infantile Sexualtheorien" nennt. Wie immer wird auch in der Erwachsenenwissenschaft eine Theorie erfunden, wenn wir etwas nicht verstehen – wenn wir es verstehen, brauchen wir erst gar keine Theorien. Das aufmerksamkeitsstarke Thema in der ersten Frage betrifft das Fehlen eines Penis, insbesondere bei der Mutter.

Die erklärende Theorie spricht von Kastration. Das Hindernis in der zweiten Frage - das Auftreten von Kindern - betrifft die Rolle des Vaters dabei. Die Theorie spricht von Verführung. Der letzte Stolperstein betrifft sexuelle Beziehungen als solche, und die Theorie liefert nur prägenitale Antworten, normalerweise in einem gewalttätigen Kontext.

Wir können es mit einem kleinen Diagramm beschreiben:

Jede dieser drei Theorien hat die gleichen Eigenschaften: Jede ist unbefriedigend und wird nach Freud letztendlich verworfen. 11 Aber das ist nicht ganz richtig: Jede von ihnen kann als Theorie verschwinden, aber gleichzeitig verschwindet sie nicht vollständig. Sie tauchen vielmehr in den sogenannten primitiven Phantasien über die Kastration und die phallische Mutter, die Verführung und den ersten Vater und natürlich über die erste Szene wieder auf. Freud erkennt in diesen primitiven Phantasien die Grundlage für zukünftige neurotische Symptome des Erwachsenen.

Damit sind wir wieder bei unserer Frage nach dem Ausgangspunkt der Neurose. Diese Urszene ist weniger eine Szene, sondern hat einen direkten Bezug zur Herkunftsfrage. Lacan wird zugeschrieben, die Freudsche Klinik in eine Strukturtheorie umzuarbeiten, insbesondere im Hinblick auf die Beziehung zwischen dem Realen und dem Symbolischen und die wichtige Rolle des Imaginären. Es gibt eine strukturelle Lücke im Symbolischen, was bedeutet, dass einige Aspekte des Realen nicht auf eine bestimmte Weise symbolisiert werden können. Jedes Mal, wenn das Subjekt mit einer Situation konfrontiert wird, die sich auf diese Teile des Realen bezieht, wird diese Abwesenheit offensichtlich. Dieses nicht erweichte Reale provoziert Angst, und es führt zurück zu einer Zunahme endloser schützender imaginärer Konstrukte.

Freudsche Theorien der infantilen Sexualität werden ihre Entwicklung in den bekannten Formulierungen Lacans finden: "La Femme n'existe pas" - "Die Frau existiert nicht"; "L'Autre de l'Autre n'existe pas" - "Der Andere Der Andere existiert nicht"; "Il n'y a pas de rapport sexuel" - "Sexuelle Beziehung existiert nicht." Auf diese unerträgliche Leichtigkeit des Nichtseins findet das neurotische Subjekt seine Antworten: Kastration, der erste Vater und die erste Szene. Diese Antworten werden in den persönlichen Fantasien des Subjekts entwickelt und verfeinert. Damit können wir die Weiterentwicklung der Signifikantenkette in unserem ersten Schema verdeutlichen: Ihre Weiterentwicklung ist nichts anderes als primäre Phantasien, aus denen sich vor dem Hintergrund latenter Angst mögliche neurotische Symptome entwickeln können. Diese Angst lässt sich immer auf die Ausgangssituation zurückführen, die durch die Abwehrentwicklung im Imaginären hervorgerufen wird. Elizabeth von R. zum Beispiel, eine der Patienten, die in Investigations of Hysteria beschrieben wurden, wurde krank bei dem Gedanken, eine Affäre mit dem Ehemann ihrer verstorbenen Schwester zu haben. 12 Im Fall von Dora 13 stellt Freud fest, dass das hysterische Subjekt eine normale sexuelle Erregungssituation nicht ertragen kann; Lacan fasst diese Idee zusammen, wenn er sagt, dass jede Begegnung mit Sexualität immer erfolglos ist, „une recontre toujours manqué“, zu früh, zu spät, am falschen Ort und so weiter. vierzehn

Fassen wir das Gesagte zusammen. Worüber reden wir jetzt? Wir denken an einen sehr allgemeinen Vorgang, den Freud Menschwerdung nannte, das Werden eines Menschen. Der Mensch ist ein Subjekt, das ein "sprechendes Wesen" ist, "parlêtre", das heißt, er hat die Natur um der Kultur willen verlassen, das Reale um des Symbolischen willen verlassen. Alles, was vom Menschen produziert wird, also alles, was vom Subjekt produziert wird, kann im Lichte dieses strukturellen Versagens des Symbolischen gegenüber dem Realen verstanden werden. Gesellschaft selbst, Kultur, Religion, Wissenschaft - zunächst nichts anderes als die Entwicklung dieser Ursprungsfragen, also Versuche, diese Fragen zu beantworten. Davon erzählt uns Lacan in seinem populären Artikel La science et la vérité.15 Tatsächlich werden all diese Kulturprodukte im Wesentlichen hergestellt – wie? und warum? - die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, zwischen einem Elternteil und einem Kind, zwischen einem Subjekt und einer Gruppe, und sie legen Regeln fest, die zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort nicht nur die Antworten auf diese Fragen, sondern sogar die richtiger Weg, Diskurs, das Finden der Antwort. Die Unterschiede zwischen den Antworten werden die Merkmale verschiedener Kulturen bestimmen. Was wir auf dieser makrosozialen Schale finden, spiegelt sich auch auf der Mikroschale wider, im Einsatz der einzelnen Gesellschaftsmitglieder. Wenn ein Subjekt seine eigenen besonderen Antworten konstruiert, wenn es seine eigene Kette von Signifikanten entwickelt, zieht es natürlich Material aus einer großen Kette von Signifikanten, das heißt aus dem Großen Anderen. Als Mitglied seiner Kultur wird er mehr oder weniger die Antworten seiner Kultur teilen. Hier, an dieser Stelle, begegnen wir schließlich noch einmal der Hysterie, zusammen mit der sogenannten deckenden oder unterstützenden Psychotherapie. So unterschiedlich diese unterstützenden Therapien auch sind, sie werden immer auf allgemeine Antworten auf diese Fragen zurückgreifen. Der Unterschied bei Lügen liegt nur in der Größe der Gruppe, die die Antwort teilt: Wenn die Antwort „klassisch“ist – zum Beispiel Freud mit Dora – dann ist diese Antwort der häufigste Nenner einer bestimmten Kultur; lautet die Antwort "alternativ", dann greift er auf die gemeinsame Meinung der kleineren alternativen Subkultur zurück. Ansonsten gibt es hier keinen signifikanten Unterschied.

Die hysterische Position ist im Wesentlichen eine Ablehnung der allgemeinen Reaktion und der Möglichkeit, eine persönliche Reaktion hervorzubringen. In Totem und Tabu stellt Freud fest, dass das neurotische Subjekt vor einer unbefriedigenden Realität flieht, dass es die reale Welt meidet, "die unter der Herrschaft der menschlichen Gesellschaft und der von ihm gemeinsam geschaffenen sozialen Institutionen steht". 16 Er meidet diese kollektiven Entitäten, weil das hysterische Subjekt die Widersprüchlichkeit (Fehlbarkeit) der Garantien dieser allgemeinen Antwort durchschaut, Dora entdeckt, was Lacan "le monde du semblant" nennt, die Welt des Scheins. Sie will keine Antwort, sie will die Antwort, sie will das Wirkliche, und außerdem muss es vom großen Anderen produziert werden, ohne dass es an irgendetwas mangelt. Genauer gesagt: Das einzige, was sie befriedigen kann, ist ein fantastischer erster Vater, der die Existenz der Frau garantieren kann, die wiederum die Möglichkeit sexueller Beziehungen schafft.

Diese letztere Annahme ermöglicht es uns vorherzusagen, wo die hysterischen Symptome entstehen werden, nämlich genau an den drei Punkten, an denen der große Andere versagt. Daher werden diese Symptome in der Übertragungssituation, in der klinischen Praxis und im Alltag immer sichtbar. In seinen frühen Arbeiten entdeckte und beschrieb Freud die Mechanismen der Symptombildung, insbesondere den Mechanismus der Verdichtung (Verdickung), doch schon bald stellte er fest, dass dies nicht alles ist. Im Gegenteil, das Wichtigste war, dass jedes hysterische Symptom für oder trotz jemandem geschaffen wird, und dies ist zu einem bestimmenden Faktor in der Psychotherapie geworden. Lacans Diskurstheorie ist natürlich eine Weiterentwicklung dieser ursprünglichen Freudschen Entdeckung.

Freuds zentrale bahnbrechende Idee ist die Erkenntnis, dass jedes Symptom ein Element der Wahl in sich trägt, die Neurosenwahl, die Wahl der Neurose. Wenn wir dies untersuchen, werden wir verstehen, dass es sich nicht so sehr um eine Wahl handelt, sondern eher um eine Weigerung, eine Wahl zu treffen. Jedes Mal, wenn ein hysterisches Subjekt in Bezug auf eines dieser drei zentralen Themen vor die Wahl gestellt wird, versucht es dies zu vermeiden und möchte beide Alternativen beibehalten, daher ist der zentrale Mechanismus bei der Bildung eines hysterischen Symptoms genau die Verdichtung, eine Verdickung von beiden Alternativen. In einem Artikel über den Zusammenhang zwischen Symptomen und hysterischen Fantasien stellt Freud fest, dass hinter jedem Symptom nicht eine, sondern zwei Fantasien stehen – männliche und weibliche. Das Gesamtergebnis dieser Nicht-Wahl ist natürlich das, was letztendlich nirgendwo hinführt. Sie können keinen Kuchen haben und ihn essen. Freud liefert eine sehr kreative Illustration, wenn er einen berühmten hysterischen Anfall beschreibt, bei dem die Patientin beide Rollen in der zugrunde liegenden sexuellen Fantasie spielt: Einerseits drückte die Patientin ihr Outfit mit einer Hand wie eine Frau an ihren Körper, während sie mit der andererseits versuchte sie, ihm abzuzocken - als Mann … 17 Ein weniger offensichtliches, aber nicht weniger häufiges Beispiel betrifft eine Frau, die maximal emanzipiert werden will und sich mit einem Mann identifiziert, deren Sexualleben aber voller masochistischer Fantasien ist, und ist im Allgemeinen frostig.

Es ist diese Weigerung, eine Wahl zu treffen, die den Unterschied zwischen der Hysterie jedes Parlêtre, jedes sprechenden Wesens einerseits und der pathologischen Hysterie andererseits ausmacht. Jedes Subjekt muss im Leben bestimmte Entscheidungen treffen. Er kann mit vorgefertigten Antworten in seiner Gesellschaft einen einfachen Ausweg finden, oder seine Entscheidungen können je nach Reifegrad persönlicher sein. Das hysterische Subjekt lehnt vorgefertigte Antworten ab, ist aber nicht bereit, eine persönliche Entscheidung zu treffen, die Antwort muss vom Meister gemacht werden, der niemals vollständig der Meister sein wird.

Dies führt uns zu unserem letzten Punkt, zum Ziel der psychoanalytischen Behandlung. Früher, als wir zwischen erholenden und entdeckenden Formen der Psychotherapie unterschieden haben, war es absolut klar, dass die Psychoanalyse zur Erholung gehört. Was meinen wir damit, was wird der gemeinsame Nenner dieser Aussage sein?

Was ist also das grundlegende Werkzeug der psychoanalytischen Praxis? Dies ist natürlich eine Deutung, eine Deutung der sogenannten Assoziationen des Patienten. Es ist allgemein bekannt, dass die Popularisierung der Traumdeutung dazu geführt hat, dass jeder mit der Idee des manifesten Inhalts von Träumen und latenten Traumgedanken, mit der therapeutischen Arbeit ihrer Interpretation usw. vertraut ist. Dieses Werkzeug funktioniert sehr gut, auch wenn die Person nicht aufpasst, wie es bei Georg Grottek und den "wilden Analytikern" mit ihrer Maschinengewehr-Interpretation der Fall war. Auf diesem Gebiet liegt die Schwierigkeit nicht so sehr darin, eine Deutung zu geben, sondern den Patienten dazu zu bringen, sie zu akzeptieren. Aus der sogenannten therapeutischen Allianz zwischen Therapeut und Patient wird sehr schnell ein Kampf um den richtigen Platz. Historisch gesehen war es ein Scheitern in einem derart übertriebenen Deutungsprozess, der zum Schweigen des Analytikers führte. Diese Entwicklung kann man sogar bei Freud selbst verfolgen, insbesondere in der Traumdeutung. Seine erste Idee war, dass die Analyse ausschließlich durch die Deutung von Träumen erfolgen sollte, daher war der Titel seiner ersten großen Studie ursprünglich als "Traum und Hysterie" gedacht. Aber Freud änderte es in etwas ganz anderes, "Bruchstück einer Hysterie-Analyze", nur ein Fragment der Analyse der Hysterie. Und 1911 warnte er seine Studenten davor, der Traumanalyse nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, da sie zu einem Hindernis im analytischen Prozess werden könnte. 18

Heutzutage ist es nicht ungewöhnlich, dass solche Veränderungen bereits in kleinerem Umfang während des Aufsichtsprozesses auftreten. Der junge Analytiker ist begeistert in die Deutung von Träumen oder Symptomen vertieft, sogar mit solcher Begeisterung, dass er den analytischen Prozess selbst aus den Augen verliert. Und wenn der Vorgesetzte ihn fragt, was das ultimative Ziel ist, fällt es ihm oder ihr schwer, eine Antwort zu geben - etwas über das Bewusstmachen des Unbewussten oder die symbolische Kastration … die Antwort ist völlig vage.

Wenn wir den Zweck der Psychoanalyse definieren wollen, müssen wir zu unserer schematischen Darstellung dessen zurückkehren, was Psychoneurose ist. Wenn Sie es sich ansehen, werden Sie sehen: Ein unendliches System von Signifikanten, d. h. die neurotische Grundaktivität wird als solche interpretiert, entspringt an diesen Punkten, an denen das Symbolische versagt und endet mit Phantasien als einer einzigartigen Interpretation der Realität. Somit wird klar, dass der Analytiker dieses Deutungssystem nicht verlängern sollte, im Gegenteil, sein Ziel ist es, dieses System zu dekonstruieren. Daher definierte Lacan das ultimative Ziel der Interpretation als Bedeutungsreduktion. Sie kennen vielleicht den Absatz in den Vier Grundbegriffen, in dem er sagt, dass eine Interpretation, die uns Bedeutung gibt, nichts anderes als ein Vorspiel ist. „Interpretation zielt weniger auf Bedeutung als auf die Wiederherstellung der Abwesenheit von Signifikanten (…)“und: „(…) …)“… 19 Der analytische Prozess führt das Subjekt zu den Ausgangspunkten zurück, aus denen es entkommen ist und die Lacan später als das Fehlen des großen Anderen bezeichnen würde. Deshalb ist die Psychoanalyse zweifellos ein Öffnungsprozess, sie öffnet sich Schicht für Schicht, bis sie den ursprünglichen Ausgangspunkt erreicht, an dem das Imaginäre entspringt. Dies erklärt auch, warum Angstmomente während der Analyse nicht ungewöhnlich sind – jede weitere Schicht bringt Sie näher an den Ausgangspunkt, an den Ausgangspunkt des Alarms. Recovering-Therapien hingegen wirken in die entgegengesetzte Richtung; sie versuchen, gesunden Menschenverstand in Anpassungsreaktionen zu installieren. Die erfolgreichste Variante der Deckungstherapie ist natürlich der konkret realisierte Diskurs des Meisters, mit der Inkarnation des Meisters in Fleisch und Blut, also der Garantie des ersten Vaters in der Existenz einer Frau und sexuellen Beziehungen. Das letzte Beispiel war Bhagwan (Osho).

Das ultimative Ziel der analytischen Interpretation ist also dieser Kern. Bevor wir diesen Endpunkt erreichen, müssen wir ganz am Anfang beginnen, und an diesem Anfang finden wir eine ziemlich typische Situation. Der Patient versetzt den Analytiker in die Position des Subjekts, das wissen soll, "le sujet imagine de savoir". Der Analytiker weiß vermutlich Bescheid, und deshalb macht der Patient seine eigenen freien Assoziationen. Dabei konstruiert der Patient seine eigene Identität in Relation zu der Identität, die er dem Analytiker zuschreibt. Wenn der Analytiker diese Position, die ihm der Patient gibt, bestätigt, wird der analytische Prozess beendet und die Analyse schlägt fehl. Wieso den? Dies lässt sich am Beispiel der bekannten Figur Lacans, der sogenannten "inneren Acht", leichter zeigen. zwanzig

Wenn Sie sich diese Abbildung ansehen, sehen Sie, dass der analytische Prozess, dargestellt durch eine durchgehend geschlossene Linie, von einer geraden Linie - der Schnittlinie - unterbrochen wird. In dem Moment, in dem der Analytiker mit der Übertragungsposition übereinstimmt, ist das Ergebnis des Prozesses die Identifikation mit dem Analytiker in einer solchen Position, dies ist die Schnittlinie. Der Patient wird aufhören, das Übermaß an Bedeutungen zu dekonstruieren, und im Gegenteil sogar noch eine weitere zur Kette hinzufügen. Damit kehren wir zur Wiederdeckung von Therapien zurück. Lacanianische Interpretationen neigen dazu, diese Position aufzugeben, sodass der Prozess weitergehen kann. Die Wirkung dieser nie nachlassenden freien Assoziationen hat Lacan in seinem Werk Function and Field of Speech and Language schön beschrieben. So sagt er: „Das Subjekt löst sich immer mehr von „seinem eigenen Sein“(…), gibt schließlich zu, dass dieses „Sein“immer nur seine eigene Schöpfung im Bereich des Imaginären gewesen ist, und dass dies Schöpfung ist völlig frei von jeglicher Glaubwürdigkeit. Denn in der Arbeit, die er getan hat, um es für einen anderen neu zu erschaffen, entdeckt er die ursprüngliche Entfremdung, die ihn zwang, dieses Wesen in Form eines anderen zu konstruieren und ihn so immer zur Entführung durch diesen anderen verurteilt. 21

Das Ergebnis der Schaffung einer solchen Identität ist letztlich ihre Dekonstruktion, zusammen mit der Dekonstruktion des Imaginary Big Other, das sich als weiteres selbstgemachtes Produkt entpuppt. Wir können Vergleiche mit Don Quijote Cervantes, Don Quijote in der Analyse, anstellen. Bei der Analyse könnte er entdecken, dass der böse Riese nur eine Mühle war und dass Dulcinea nur eine Frau und keine Prinzessin der Träume war, und natürlich, dass er kein wandernder Ritter war, was seine Wanderungen nicht störte.

Deshalb hat die analytische Arbeit so viel mit der sogenannten Trauerarbeit zu tun. Man muss um seine eigene Identität und gleichzeitig um die Identität des großen Anderen trauern, und diese Trauerarbeit ist nichts anderes als eine Dekonstruktion der Signifikantenkette. In einem solchen Fall ist das Ziel genau das Gegenteil einer jubelnden Identifikation mit dem Analytiker in der Position des großen Anderen, die nur eine Vorbereitung auf die erste Entfremdung oder Identifikation, eine Stufe des Spiegels, wäre. Der Prozess der Interpretation und Dekonstruktion beinhaltet das, was Lacan "la traversée du fantasme" nannte, eine Reise durch das Phantasma, das grundlegende Phantasma, das die eigene Realität des Subjekts konstruierte. Dieses oder diese Grundphantasmen können nicht als solche interpretiert werden. Aber sie führen die Interpretation der Symptome ein. Auf dieser Reise werden sie enthüllt, was zu einer gewissen Wirkung führt: das Subjekt wird eliminiert, (entpuppt sich als außen) in Bezug auf sie, dies ist „subjektiver Mangel“, Not, Entzug des Subjekts, und der Analytiker ist beseitigt - das ist „le désêtre de l'analyte“. Von diesem Moment an kann der Patient seine eigene Wahl treffen, in voller Übereinstimmung mit der Tatsache, dass jede Wahl eine Wahl ohne jegliche Garantien außerhalb des Themas ist. Dies ist der Punkt der symbolischen Kastration, an dem die Analyse endet. Außerdem hängt alles vom Thema selbst ab.

Anmerkungen:

  1. J. Lacan. Ecrits, eine Auswahl. Trans. A. Sheridan. New York, Norton, 1977, S. 236
  2. S. Freud. Ein Fall von Hysterie. S. E. VII, S.97. ↩
  3. J. Lacan. Le Séminaire, livre VII, L'éthique de la psychanalyse, Paris, Seuil, S. 220 ↩
  4. J. A. Miller. Clinique sous transfert, in Ornicar, nr. 21, S. 147. Diese Ausfällung des Symptoms tritt ganz am Anfang der Entwicklung der Übertragung auf. ↩
  5. S. Freud. Psychopatologie des Alltags, S. E. VI, S.5. ↩
  6. S. Freud. Aus Gründen der Ablösung eines bestimmten Syndroms von der Neurasthenie unter der Bezeichnung „Angstneurosen“hat S. E. III, S. 94-98. ↩
  7. S. Freud. Studien zu Hysterie, S. E. II, S.67, Nr.1. ↩
  8. S. Freud. Studien zu Hysterie, S. E. II, S. 259
  9. S. Freud. Studien zu Hysterie, S. E. II, S. 67-69, Nr. 1. ↩
  10. S. Freud. Drei Aufsätze zur Sexualtheorie. S. E. VII, S. 194-197
  11. Ebenda
  12. S. Freud. Studien zu Hysterie, S. E. II, S. 155-157
  13. S. Freud Fragment einer Analyse eines Hysteriefalls, S. E. VII, p. 28
  14. J. Lacan. Le séminaire, livre XI, Les quatre concepts fondamentaux de la psychanalyse, Paris, Seuil, p. 53-55 und 66-67. ↩
  15. J. Lacan. Ekrit. Paris. Seuil, 1966, S. 855-877
  16. S. Freud. Totem und Tabu, S. E. XIII, S. 74. ↩
  17. S. Freud. Historische Phantasien und ihr Verhältnis zur Bisexualität, S. E. IX, S. 166. ↩
  18. S. Freud. Der Umgang mit Traumdeutungen in der Psychoanalyse, S. E. XII, S. 91 ff. ↩
  19. J. Lacan. Die vier Grundkonzepte der Psychoanalyse, Penguin, 1977, S. 212 und S. 250
  20. J. Lacan Die vier Grundkonzepte der Psychoanalyse, Trans. A. Sheridan. Pinguin, 1991, S. 271. ↩
  21. J. Lacan. Ecrits, eine Auswahl, Norton, New York, 1977, S. 42. ↩

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