Verletzungsgold

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Anonim

Der Legende nach zerbrach der japanische Herrscher Ashikaga Yoshimasa eines Tages seine geliebte Schale. Er befahl, ihn zu restaurieren, und der Becher wurde nach China geschickt. Die Handwerker reparierten die Schale und gaben sie dem Shogun zurück, aber es stellte sich heraus, dass sie die Fragmente mit großen Klammern verbunden hatten. Ashikaga Yoshimasa war mit der geleisteten Arbeit unzufrieden und befahl den japanischen Handwerkern, sie zu wiederholen. Sie verbanden nicht nur die Scherben und stellten die Schale wieder her, sondern schufen mit der Kintsugi-Technik etwas Einzigartiges. Grundlage dieser Restaurierungstechnik, die wörtlich „Goldfleck“bedeutet, besteht darin, dass Brüche und Risse nicht überdeckt, sondern im Gegenteil durch das Auffüllen mit Lack gemischt mit Gold-, Silber- oder Platinpulver betont werden. Ein mit dieser Technik restauriertes Gefäß erhält einen höheren Wert als ein Gefäß ohne Mängel, und jeder Riss und jeder Chip macht es zu einem Unikat.

Oft erweisen sich unsere seelischen Traumata als mit solch groben Zahnspangen versiegelt, die unsere Seele in eine Kreatur wie Frankenstein verwandeln. Unsere "Fehler" und offensichtlichen Unvollkommenheiten können brennende Scham und den Wunsch hervorrufen, sie zu verschleiern, sie in eine ferne Kiste zu legen und unsere eigene Geschichte in Vergessenheit zu geraten. Das Vorhandensein eines Traumas bedeutet, dass unsere Psyche einmal nicht bereit war, die Emotionen zu verdauen, die als Reaktion auf ein Ereignis entstanden sind. Ein Trauma macht uns nicht immer schlimmer; Das traumatische Ereignis ist nicht unsere Schuld, aber uns fehlt das Gold (innere Ressourcen), um das Trauma anzuerkennen und zu etwas Wertvollem zu verarbeiten.

In der Beschreibung der Nachwirkungen einer traumatischen Erfahrung schreibt Donald Kalshed: „Der Traumaüberlebende beschreibt die Erfahrung oft als ein Gefühl des inneren „Zusammenbruchs“… Wenn die Persönlichkeit einer solchen Auflösung unterliegt, kommen schwere Zeiten für die Seele. Wenn die Persönlichkeit fragmentiert ist, kann die Seele nicht gedeihen und wachsen. Bei einer fragmentierten Psyche kann die Seele nicht in den Körper einziehen und darin als göttlich/menschliches Prinzip der inneren Stabilität und Autarkie verbleiben. Vielleicht kommt sie manchmal als Eindringling zu Besuch, aber bei einer so flackernden und gespenstischen Präsenz der Seele geht das Gefühl, beseelt und lebendig zu sein, weitgehend verloren. Dies geschieht, weil die Seele per Definition selbst die Quelle der Belebung und Vitalität ist, das Zentrum unseres von Gott gegebenen Geistes - der Lebensfunke in uns. Dies ist jedoch nicht die einzige "Kraft", die in der Psyche wirkt. Ein weiterer Trend, vergleichbar stark oder noch stärker als der oben erwähnte, ist der Wunsch nach Integration und Integrität. Und wenn Jung Recht hat, haben wir eine „Sehnsucht“nach dieser Integrität, ein instinktives Verlangen danach.“

Es ist das Trauma als integraler Bestandteil der Lebenserfahrung, das uns einzigartig macht. Schmerzhafte Erfahrungen enthalten auch eine Ressource, und die im Trauma enthaltenen Energien verbergen das Entwicklungspotential.

Ein Trauma schneidet uns von unserer eigenen Vitalität ab, öffnet aber auch die Tür für heilende Energien. Anstatt ein unwirkliches Bild aufrechtzuerhalten, lohnt es sich, Ihre Geschichte so anzuerkennen, wie sie ist. Und dann erscheinen anstelle von groben Nähten und Rissen goldene Fäden.