Psychologische Muskelfunktion

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Anonim

Eine metaphorische Vorstellung von den psychologischen Funktionen einzelner Muskeln folgt auch aus dem Konzept der körperlichen „Anhaftung“bestimmter persönlicher Qualitäten. Durch die Normalisierung des Muskelzustands können psychische Probleme korrigiert werden. Die Diagnose des Zustands einzelner Muskeln kann verwendet werden, um psychische Probleme zu diagnostizieren.

In der klassischen Psychoanalyse wird die Stärke des Ichs als Indikator für die psychische Gesundheit einer Person angesehen, und das Ziel der Therapie ist es, ein reifes Ich zu nähren. Analog dazu wird in der bodynamischen Analyse der Begriff des Körper-Ich eingeführt, dessen Funktionen sind:

  • Denken;
  • emotionale Kontrolle;
  • Lebensposition (Überzeugungen und Verhaltensstereotypen);
  • Gleichgewicht "Ich" (inneres psychologisches Gleichgewicht zwischen "Ich" und "anderen", zwischen Gefühlen und Geist);
  • Annäherung / Distanz (äußeres Gleichgewicht in Beziehungen zu Menschen);
  • Beziehungen zu Menschen in der Umgebung;
  • Zentrierung (Selbstwertgefühl);
  • Erdung und Realitätsprüfung;
  • die Bildung von Grenzen (Durchsetzungsvermögen);
  • Selbstdarstellung.

Ein reifes Körper-Ich ist eine Bedingung sowohl für die psychologische als auch für die sozialpsychologische Anpassung. Auf ihrer Grundlage baut sich die Integrität, die Einheit einer Person sowohl mit sich selbst als auch mit anderen Menschen auf, die die universelle Beziehung widerspiegelt.

Der Begriff „Bodynamik“ist aus der Verschmelzung zweier Wurzeln: Körper + Veränderung (Dynamik) entstanden und kann somit als „körperdynamische“Analyse oder Analyse der Körperentwicklung entschlüsselt werden. Die Methode basiert auf den Konzepten der Psychologie der altersbezogenen Entwicklung, der Anatomie und der altersbezogenen Physiologie des neuromuskulären Systems und beschreibt die Dynamik der körperlichen Entwicklung des Kindes, seine Parallelität zur Persönlichkeitsentwicklung. Die Methode wurde von der dänischen Psychotherapeutin Lisbeth Marcher, einer Nachfolgerin von Wilhelm Reich, basierend auf seinen Vorstellungen von der „Muskelschale“entwickelt.

Aus der Idee der Körperlichkeit des Ichs, der körperlichen „Anhaftung“bestimmter persönlicher Qualitäten, folgt auch eine metaphorische Vorstellung von den psychischen Funktionen einzelner Muskeln oder Muskelgruppen, die der körperlich-geistigen Einheit zugrunde liegen.

Wird diese Vorstellung als richtig erkannt, dann gilt auch das Gegenteil: Durch die Normalisierung des Muskelzustandes können psychische Probleme korrigiert werden (Feedback-Prinzip). Die Diagnose des Zustands einzelner Muskeln kann verwendet werden, um psychische Probleme zu diagnostizieren.

Marcher näherte sich der Beschreibung der Bildung der Charakterstruktur auf der körperlichen Ebene als integralen Bestandteil der psychomotorischen Entwicklung und auf der psychologischen Ebene als eine Abfolge alternativer Entscheidungen, die sich im Laufe der Zeit natürlich entwickeln (Tabelle 2), die die Persönlichkeitsstruktur bilden. Die besonderen persönlichen Eigenschaften, die diesen allgemeinsten Entscheidungen entsprechen, sind sozusagen in die Muskeln eingeprägt (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1. Metaphorische psychologische Funktionen von Muskeln nach Marcher

Die bodynamische Analyse hat Reikhs Ideen über die Struktur des Charakters und die "Muskelschale" erheblich ergänzt. In der Körperpsychotherapie wurde die Charakterstruktur zunächst tatsächlich als eine Menge unbewusster, irrationaler Verhaltensstereotypen in Stresssituationen verstanden - eine Menge, die sich in jedem Menschen von klein auf bildet (es ist mit der Reproduktion der Kindheit Erfahrung, dass Elemente der Irrationalität verbunden sind).

Gleichzeitig entwickelt es sich in vielerlei Hinsicht spontan, unter dem Einfluss der Umstände (stellen wir klar: möglicherweise durch Nachahmung anderer). Die typischen psychologischen Abwehrmechanismen sind nach Reich die "Charakterhülle", deren Spiegelung in Form von Bereichen mit erhöhtem Muskeltonus die "Muskelhülle".

Gleichzeitig, so L. Marcher, "reifen" im Entwicklungsprozess verschiedene Muskelgruppen zu unterschiedlichen Zeiten. Und die psychomotorische Entwicklung wird als sequentielle "Reifung" bestimmter Muskeln (und die Beherrschung der damit verbundenen Bewegungen) dargestellt. Unter "Reifung" verstehen wir hier das Erreichen eines solchen Reifegrades des neuromuskulären Apparats, der die Aktivität dieses Muskels der bewussten Steuerung vollständig zugänglich macht.

Der Übergang eines Muskels in einen "reifen" Zustand ist mit einer bestimmten Altersperiode verbunden und durch einen ziemlich engen Zeitrahmen begrenzt. Dies ist die sogenannte kritische oder sensible Entwicklungsphase, die auch mit einer unauslöschlichen Erfahrung in einer primären Lernsituation (Prägung) verbunden ist.

Wenn ein Kind mit traumatischen Situationen konfrontiert wird, treten zwei Probleme auf. Erstens eine Verletzung der psychomotorischen Entwicklung, ihre teilweise Verzögerung in diesem Alter (ein körperliches Analogon zu Freuds Fixierung). Zunächst soll es eine Schutzfunktion übernehmen, später wird es aber zur "Bremse" der weiteren Entwicklung, zur Grundlage eines Minderwertigkeitskomplexes. Zweitens enthält der entstehende Abdruck in der Regel biografische Szenen, die mit traumatischen Erfahrungen gesättigt sind.

Obwohl diese Erinnerungen unterdrückt werden, schaffen sie aufgrund der Tatsache, dass ein solcher Schutz nicht absolut ist, eine Art "Achillesferse", Inseln erhöhter psychischer Verwundbarkeit in der Struktur der Persönlichkeit. Die mit den "Problem"-Muskeln verbundenen kinästhetischen Empfindungen werden teilweise unterdrückt und werden dem Bewusstsein unzugänglich.

Tabelle 2. Periodisierung der altersbedingten psychischen Entwicklung nach Marcher

Es gibt also zwei Aufgaben für die Körperpsychotherapie. Die taktische Aufgabe besteht darin, Muskelblockaden zu identifizieren; Die strategische Aufgabe, die auf der Grundlage der Beseitigung dieser "Blockaden" durchgeführt wird, ist die Entwicklung der fehlenden körperlich-psychologischen Ressourcen. Die erste Phase der Arbeit mit einem Patienten ist ein körperdiagnostisches Verfahren - das Erstellen einer individuellen Muskel-"Landkarte". Mit diesem Mapping werden etwa 200 Muskeln untersucht.

Dabei wird im Gegensatz zur traditionellen Körpertherapie nicht nur die statische, "mechanische" Charakteristik - der Muskeltonus (also der Ruhezustand des Muskels) analysiert, sondern auch die dynamische Charakteristik des Zustands des Muskels Muskel. Dies ist die sogenannte Reaktivität, dh die Reflexantwort des Muskels auf seine mechanische manuelle Stimulation - Palpation.

Eine solche Muskelreaktion kann mit einem Rückkopplungskanal verglichen werden, mit einem Signal aus dem Unterbewusstsein über die Annehmbarkeit/Unannehmbarkeit dieses Körperkontakts. Wenn Muskeltonus und Reaktivität dem Medianbereich auf einer konventionellen Skala (Normalbereich) entsprechen, gilt dieser Muskel als in einem Ressourcenzustand. Andernfalls wird ihr Zustand als Abweichung von der Norm angesehen - Hypo- bzw. Hyperreaktivität.

Der Vergleich mit dem Schema der altersbedingten psychomotorischen Entwicklung lässt vermuten, in welchem Alter traumatische Situationen auftraten, die den Zustand der Muskulatur beeinflussten. Ein psychisches Trauma, das in einer kritischen altersbedingten Entwicklungsphase oder noch früher erlitten wurde, äußert sich in der Hypotonie (Hyperaktivität) des entsprechenden Muskels. Wenn das Trauma in einem höheren Alter stattgefunden hat, wird Muskelhypertonie (Hyperreaktivität) die Folge.

Im Gegensatz zu Reichs Ansatz weigert sich die bodynamische Analyse, die "Muskelschale" gewaltsam zu entfernen, um den Patienten nicht wehrlos zu machen. Stattdessen wird vorgeschlagen, dem Patienten beizubringen, sich der Präsenz seiner eigenen "Hülle" in verschiedenen Lebenssituationen bewusst zu sein, um Emotionen und den Zugang zu inneren Ressourcen zu kontrollieren.

Letztlich führt dies zusammen mit der Wiederherstellung des Ressourcenzustandes der entsprechenden Muskulatur zur Stärkung bzw. „Erweckung“des Körper-Ichs, dessen Funktionsharmonisierung das Hauptziel der psychokorrektiven Arbeit ist.

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